Am Westring von Parchim entstand eine neue Wohnanlage der Lewitz-Werkstätten
Das war ein aufregendes Jahresfinale 2023 für Manja: Zwei Tage vor ihrem 49. Geburtstag und kurz vor Weihnachten stand für sie sowie weitere 17 Bewohner der Wohnanlage für geistig behinderte Menschen in Neustadt-Glewe ein Umzug in eine andere Stadt an.
Ihr neues Zuhause haben sie nun in Parchim am Westring 36-37. Es bietet jedem Mieter ein eigenes Zimmer mit einem direkt angrenzenden barrierefreien, geräumigen Bad. In Neustadt-Glewe waren die Sanitärbereiche in Gemeinschaftsnutzung. Manja, die durch eine Erblindung zusätzlich beeinträchtigt ist, hat sich schnell in ihrem kleinen Reich eingelebt.
„Ich finde es schön hier in Parchim“, sagt die 49-Jährige über ihr neues Zuhause. Nachbar Sven machte nach dem Umzug als erstes sein Fahrrad startklar. „In Neustadt-Glewe wurden wir immer mit dem Bus abgeholt, jetzt fahre ich mit dem Fahrrad zur Arbeit. Ich brauche 20 Minuten bis zum Gewerbegebiet”, ruft der Neu-Parchimer vom Balkon herunter.
Glücklich, was an diesem Standort geschaffen wurde, ist ebenfalls Marko Schirrmeister, Geschäftsführer der Lewitz-Werkstätten. Die gemeinnützige Gesellschaft hat das Objekt auf lange Sicht von der Parchimer Wohnungsbaugesellschaft, kurz Wobau, gemietet. Die wiederum steckte zuvor etwa drei Millionen Euro in die Immobilie, um sie nach den Bedürfnissen der künftigen Nutzer zu sanieren und umzubauen sowie mit einem Fahrstuhl und Balkonen auszustatten.
„Zurzeit gibt es für uns keine Fördermöglichkeiten, um selbst Wohnraum für behinderte Menschen, der für sie auch finanzierbar ist, schaffen zu können. Deshalb waren wir umso dankbarer, als sich erneut die Chance der Zusammenarbeit mit der Wobau ergab”, sagt Marko Schirrmeister. Diese lokale Partnerschaft bewährte sich in jüngerer Vergangenheit schon einmal. Stichwort: Giebelhaus-Quartier im Herzen von Parchim, fertiggestellt im Frühjahr 2020. Das lange Jahre verwaiste Gebäude von stadthistorischem Wert wurde von der Eigentümerin Wobau passgenau nach den Vorstellungen der künftigen Mieter saniert.
Die Lewitz-Werkstätten betreibt hier eine Wohngemeinschaft, eine Begegnungsstätte für geistig behinderte Menschen. Die Lebenshilfe hält Beratungsangebote vor. Das Projekt gilt als Vorzeigebeispiel für Teilhabe, also wie Menschen mit einem Handicap in die Gesellschaft hineingeholt werden können.
Das wiederholte sich nun in der Weststadt. Wobau-Geschäftsführer Martin Eberwein verhehlt nicht, dass eine Weile sogar über einen Abriss des Dreigeschossers am Westring nachgedacht wurde – bis die Lewitz-Werkstätten ins Spiel kamen und sich ein neues, vor allem jedoch langfristiges Nutzungskonzept auftat.
Die Verzögerung bei der Fertigstellung sei auch dem Umstand geschuldet, dass während der Sanierung an vielen Stellen große Überraschungen auftauchten, die mit der besonderen Entstehungsgeschichte des Hauses zusammenhängen. Bei dem im September 1966 fertig gestellten Gebäude Westring 36-37 handelt es sich um einen so genannten Versuchsbau. An diesem Bau sollte getestet werden, ob sich der neue Baustoff Gasbeton, produziert im Parchimer Gasbetonwerk, heute Hansa Baustoffwerke, auch im Wohnungsbau eignet. Beim Umbau im Jahr 2023 offenbarte sich, dass dieser Wohnblock damals auch ein Übungsfeld für Lehrlinge gewesen sein muss. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Gebäude unter anderem als Lehrlingswohnheim, von einem Wohlfahrtsverband und als Unterkunft für Kriegsflüchtlinge aus Syrien genutzt.
Die neu geschaffene Wohnanlage „Westring” ist für 23 Mieter ausgelegt, die in den Lewitz-Werkstätten tätig sind. Drei Wohnungen sind rollstuhlgerecht. Es gibt ein Mieterbüro mit einem festen Ansprechpartner vor Ort, der auch im Haus übernachtet. Kathleen Ladwig-Skiba, Bereichsleiterin Wohnen bei den Lewitz-Werkstätten, verweist auf das innovative Konzept der Gemeinschaftsbereiche: Sechs im Haus zur Verfügung stehende Küchen bieten viel Raum, damit Mieter sich auch individuell Mahlzeiten zubereiten können.
Die Ergotherapie-Praxis der Lewitz-Werkstätten sowie das Büro für das Ambulant Unterstützte Wohnen (AUW) haben jetzt ebenfalls ihre Adresse am Westring 36-37. Im Haus selbst werden für diese Wohnform drei autarke Wohnungen angeboten. Die Lewitz-Werkstätten betreuen allein im Bereich Wohnen etwa 250 Menschen mit einer geistigen/mehrfachen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung. Etwa 134 von ihnen leben in Wohnanlagen oder Wohngemeinschaften in Plau am See, Ludwigslust und Parchim. „Wir wollen unsere Bewohner befähigen, ihr Leben weitgehend selbst in die Hand zu nehmen. Dazu bekommt jeder die Unterstützung und Hilfe, die er benötigt”, sagt Kathleen Ladwig-Skiba.
Text: Ch. Großmann/SVZ